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Die bisherigen empirischen Übungen:

 

  • empirische Übung 1:
  • Haltlose Hitler -Argumentationen
  • empirische Übung 2:
  • Ideologiekritische Analyse eines FemDisk-Textes gegen Daniel Cohn-Bendit
  • empirische Übung 3:
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  • empirische Übung 4:
  • Was ist Propaganda?
  • empirische Übung 5:
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24.02.2010, von Manfred Aulbach

 

Ideologiekritische Analyse eines FemDisk-Textes gegen Daniel Cohn-Bendit

 

Der Text wurde am 30.06.07 von einem ‚nihilator’ in der Website „Feminismusdiskussion FemDisk“ abgedruckt (unter „Artikel“ und zwar „Dani aus dem Kinderladen“ - Link war bald danach tot!). Dazu gibt es zwei Kommentare (auch diese Kommentare wurden bald darauf gelöscht], die unbedingt lesenswert sind [waren], schon allein deswegen, weil einer davon von mir stammt[e].

 

 

1. Erstes Zitat:

 

<Dies waren die rauschhaften Tage der Außerparlamentarischen Opposition (APO) des Jahres 1968, des Jahres, in dem alles begann und bald in den Terror der Straßenkämpfer und Hausbesetzer übergehen und im Terror der „Roten Armee Fraktion“ (RAF) enden sollte.>

 

Die „rauschhaften Tage“ laß ich hier so stehen. Der Ausdruck ist nicht verkehrt, wenn auch bösartig gemeint. (Ich war übrigens selber zu der Zeit Student an der FU, d.i. die Freie Universität Berlin).

Falschdarstellung: 1968 ist nicht das Jahr, in dem alles „begann“. Erstens ‚begann’ es spätestens 1966 (z.B. mit den Sit-Ins an der FU-Berlin), zweitens gibt es auch die durchaus ernstzunehmende Ansicht, daß das wichtigste Jahr 1967 war (Stichwort: kaltblütige Ermordung des demonstrierenden Studenten Benno Ohnesorg beim Schah-Besuch in Berlin seitens eines Polizisten). 1968 (Stichwort: Vietnamkongress in Berlin) war gemäß dieser Ansicht eine Spätform der Entwicklung der Initialphase der Studentenbewegung. Die Studentenbewegung zog  sich alles in allem (inklusive Ökologie- und Friedensbewegung) bis ca. Ende der 80er Jahre hin.

Der zitierte Satz suggeriert, daß 1968 „alles“ begann und somit folgerichtig „alles“ bald in den Terror übergehen würde. Dabei hat 1968 im Rahmen der Studentenbewegung und der APO sicherlich vieles begonnen (beispielsweise Gründung von ‚Kinderläden’) aber nur manches (weniges) davon ist im Terror geendet. Und überhaupt hat mit dem Terror der RAF keineswegs “alles” an Studentenbewegung bzw. außerparlamentarischer Opposition geendet, da die RAF und dergl.  ja nie ein notwendiger Bestandteil der letzteren war.

 

Was ist hierbei der Argumentationstrick? Mit dem „alles“ wird jegliche Differenzierungsbemühung von vornherein ausgeblendet. Da der Terror lediglich eine – wenn auch äußerst medienwirksame - Randerscheinung der sich weiterentwickelnden Studentenbewegung war, wird hier die Realität nicht in ihren richtigen Proportionen, sondern einseitig verzerrt dargestellt. Wenn der Terror tatsächlich eine entscheidende Entwicklungslogik der Studentenbewegung gewesen wäre (wie etwa beim siegreichen Kommunismus oder beim Nationalsozialismus) könnte man dem Autor recht geben. Dem war aber nicht so. – Die systematische Auslassung wichtiger Daten - daß es zum Beispiel auch eine internationale Hippie-Bewegung mit einem starken deutschen Anteil gab, die sicherlich auch mit der Studentenbewegung (in Nord- und Südamerika, Japan, Frankreich, Italien, Deutschland) allerlei Überschneidungen hatte - führt zu einer unrealistischen, einseitigen Einschätzung der Sachlage.

[Zum Terror der bolschewistischen Revolution in Rußland, vgl. Karl Kautsky: Terrorismus und  Kommunismus. 1919. Zum Terror der Nationalsozialistischen Machtergreifung, vgl. Karl Kraus: Die Dritte Walpurgisnacht. 1933]

 

Dieser durchaus übliche Denkfehler der Auslassung relevanter Daten eines Sachgebietes, wird wegen seiner Einseitigkeit der Darstellung des Sachverhaltes gerne  als Methode der Indoktrination verwandt. Unbequeme, jedoch wichtige Daten werden unter den Tisch fallen gelassen.

 

 

2. Zweites Zitat:

 

 

<Das Thema ist nicht angenehm. Es handelt sich um ideologisch motivierte Sozialexperimente mit Kindern auf einem Gebiet, auf dem man Kinder am meisten beschädigen kann. Ein durchgeknallter Epigone Siegmund Freuds, der marxistisch verblendete Psychoanalytiker Wilhelm Reich, hatte Thesen über die zu befreiende Sexualität von Kindern (!) aufgestellt, die den verrückten „Spontis“ und APO-“Revolutionären“ von 1968 als Anleitung für menschenverachtende Experimente mit Kindern dienten. In der dogmatischen Gewißheit ihrer neomarxistischen Heilslehre zur Veränderung der Gesellschaft benutzten sie Kleinkinder wie experimentelle Meerschweinchen in dem sensiblen Bereich der Sexualentwicklung.>

 

Der Autor arbeitet offenbar sehr gerne mit der Methode der von vornherein abwertenden Bezeichnungen. Beispielsweise: „Ein durchgeknallter Epigone“. Als ‘Epigone’ ist hier, nach der üblichen Bezeichnungsweise des Wortes, offenbar gemeint: Wilhelm Reich sei eine Art unbedeutender Nachahmer von Freud - ohne eigene Ideen. Es ist zu bezweifeln, daß der Autor dieser diskriminierend gemeinten Bezeichnung sich jemals mit den Werken von Wilhelm Reich näher befaßt hat. Eine eigenständige Hauptleistung von Wilhelm Reich liegt beispielsweise in der genaueren Untersuchung dessen, was eigentlich ein Orgasmus ist. Er kann also nicht einfach als ‚Epigone’ bezeichnet werden. Das ‚durchgeknallt’ ist zwar richtig (wenn auch bösartig gemeint) muß aber genauer dargelegt werden. Tatsächlich würde ich sagen, daß Wilhelm Reich mit der Weiter-Entwicklung seiner Orgon-Theorie (ab ca. 1940 in der Emigration in den USA) allmählich mehr und mehr ‚ausgeflippt’ ist. Aber bis zu dieser Zeit (grob gesagt vor 1945) kann man ihn ebenso ernst nehmen, wie man etwa Nietzsche ernst nehmen kann. – Jemanden als ‚marxistisch verblendet“ zu bezeichnen, das müßte schon genauer ausgeführt werden, was das heißt. Eine Menge ernstzunehmender Intellektueller waren Ende der 20er Jahre - Anfang der 30er Jahre – ähnlich wie Wilhelm Reich – marxistisch ‚verblendet’. Beispielsweise war Erich Fromm zu der Zeit ebenfalls ein marxistisch geprägter Psychoanalytiker. Eine seiner Hauptleistungen zu jener Zeit bestand darin, in die von Horkheimer herausgegebene „Zeitschrift für Sozialforschung“ etliche für Marxisten bislang sozusagen ‘ungehörige’ Ideen der Psychoanalyse produktiv einzubringen, was übrigens zu einer differenzierteren Einschätzung des Potentials des Faschismus in Deutschland führte, sodaß die Zeitschrift (bzw. das Frankfurter “Institut für Sozialforschung”) rechtzeitig vor der “Machtergreifung” mit allen ihren Bücherbeständen in die Schweiz emigrieren konnte.

 

Was ist hierbei der Argumentationstrick? Die Methode der von vornherein abwertenden Bezeichnung ist ein wirkungsvoller Argumentationstrick, um ungerechtfertigte Vorurteile zu schüren.

 

„Verrückte“ Sponties und „menschenverachtende Experimente mit Kindern“ fällt in die gleiche Kategorie der Methode der von vornherein abwertenden Bezeichnungen.

 

Hier taucht sofort die Frage auf:

 

Wieso sind die demonstrierenden Studenten bzw. APO-Revolutionäre von 1968 „verrückt“? Ich wüßte, nebenbei gesagt, nicht, daß sich Studenten damals schon als „Sponties“ bezeichnet hätten. Eher einige als „Anarchisten“ (in den verschiedensten Bedeutungen des schillernden Begriffs). Aber wieso sind die demonstrierenden Studenten von 1968 – selbst wenn einige sich als ‘Anarchisten’ bezeichneten - „verrückt“? – Auch  wenn schon damals welche Wilhelm Reich (oder sonstwen der “neomarxistischen Heilslehre” etwa Adorno, Horkheimer, Marcuse) gelesen haben sollten, waren sie ja deswegen noch nicht (notwendigerweise oder auch wahrscheinlicherweise) verrückt, genausowenig wie jemand, der Nietzsche oder Hölderlin (oder Heidegger, Karl Popper, Rudolf Carnap) liest, deswegen verrückt ist.

 

 

3. Jetzt zur nächsten Frage:

 

Wieso begeht jemand, der für neue, unautoritäre Erziehungsmethoden eintritt, (notwendigerweise oder auch wahrscheinlicherweise) „menschenverachtende Experimente mit Kindern“? Die Antwort lautet: „In der dogmatischen Gewißheit ihrer neomarxistischen Heilslehre zur Veränderung der Gesellschaft benutzten sie Kleinkinder wie experimentelle Meerschweinchen in dem sensiblen Bereich der Sexualentwicklung.“

 

Ich will übrigens gar nicht abstreiten, daß es (einige wenige) solcher Leute mit Ansätzen in der beschriebenen Richtung gegeben hat (etwa Dogmatiker der K2 = Kommune 2, die diesbezügliche Literatur veröffentlichten, auf die sich der Hetzautor gegen Cohn-Bendit und die antiautoritäre Kindererziehung einseitig bezieht), sowenig wie ich auf die Idee komme, abstreiten zu wollen, daß es Terroristen und ihre Sympathisanten seit ca. 1970 als relativ geringzahliger Anteil der Studentenbewegung gegeben hat, oder daß es dogmatische K-Gruppen gab. – Aber mit Dogmatikern à la K2 hat man nicht die Masse derjenigen erfaßt, die nun, im Gefolge der Studentenbewegung, sich an neue unautoritäre Erziehungsversuche heranwagten. Und daß Cohn-Bendit zu jenen Dogmatikern à la K2 gehörte, müßte erst mal genauer expliziert werden. Ich persönlich halte dies für unwahrscheinlich. (Vgl. auch das Podiumsgespräch zum Thema: Kinderläden im Wandel  der Zeit anläßlich des 40-jährigen Bestehens des Gießener Kinderladens, an dem auch Cohn-Bendit beteiligt war.)

 

 

Was ist hierbei der Argumentationstrick?

Hier hat man wieder die Auslassung relevanter Daten eines Sachgebietes, welche als Methode ideologischer Indoktrination verwandt wird.

 

 

4. Nachdem der Autor uns demgemäß einseitig indoktriniert hat, daß alles dem Terrorismus und den experimentellen Meerschweinchen in Bezug auf die antiautoritäre Kindererziehung zugelaufen ist, kommt er zu dem Ergebnis:

 

<Dieses Thema ist nicht erfreulich und die Irrwege der Verrückten von 1968 sind wissenschaftlich nicht bedeutsam. Wir handeln es nur deshalb ab, weil anhand der Vergangenheit, die Cohn-Bendit eingeholt hat, wieder sichtbar wird, wes Geistes Kinder viele der damals so verantwortungslos Handelnden waren, die heute in der Bundesrepublik Deutschland - aber auch in Österreich - in höchsten Staatsämtern sitzen und in der Publizistik vielfach den Ton angeben. Und die heute noch ihre Kritiker des Faschismusdenkens bezichtigen.>

 

Die Vergangenheit, die Cohn-Bendit (in jenem „höchsten Staatsamt“ d.i. als Europa-Abgeordneter der Grünen) „eingeholt“ hat, besteht darin, daß Cohn-Bendit nach seiner zwangsmäßigen Übersiedlung nach Deutschland (aufgrund seiner herausragenden Aktivitäten in Frankreich an der Sorbonne beim Mai 68  als „Dany le Rouge“) eine Zeitlang Betreuer in einem antiautoritären ‚Kinderladen’ in Frankfurt war. Umstandslos wird nun jene experimentelle Meerschweinchen-Behauptung auf Cohn-Bendit angewandt, weil er ja in so einem <linksalternativen roten „Kinderladen“> als Pädagoge beschäftigt war. Folglich war er damals „verantwortungslos Handelnder“ und bezichtigt womöglich auch heute noch – wer weiß? – seine Kritiker des „Faschismusdenkens“.

 

In allen diesen ‚Kinderläden’ ging es  - wenn man dem Autor folgt – streng nach den Implikationen von Wilhelm Reich zu. Kein Wort wird darüber verloren, daß damals verschiedene Autoren zur Debatte standen – und daß Wilhelm Reich dabei (bis auf Ausnahmen) am wenigsten für Kindererziehung zuständig war (auch wenn man durch Wilhelm Reich, aber auch durch Herbert Marcuse,  freudianischerweise, ein besonderes Augenmerk auf die Sexualität erhalten hatte),  sondern in erster Linie für die Geschlechterbeziehungen der Eltern eine (durchaus verheerende) Rolle spielte. Die wichtigsten Autoren für die  antiautoritäre Kindererziehung waren - in Reihenfolge meiner eigenen damaligen Relevanz - vor allem Alexander Neill (Antiautoritäre Erziehung, 1960, Rowohlt),  dann die natürliche Geburt von Read (1953) sowie René Spitz (Säuglingsforschung, anaklitische Depression, ca. 1950) schließlich Erik H. Erikson (Entwicklung der gesunden Persönlichkeit, 1950, Suhrkamp). Für manche war auch schon damals sicherlich Horst-Eberhard Richter mit seinem wichtigen Buch „Eltern-Kind-Neurose“ (1962), Rowohlt, bekannt.

 

 

<Mit Begeisterung stürzten sich daher die 68er in die Experimente an ihren eigenen Kindern, welche sie ab nun nicht mehr in öffentliche oder konfessionelle Kindergärten, sondern in „alternative Kinderläden“ schickten, in welchen eifrige Genossen und Genossinnen daran gingen, aus diesem „Menschenmaterial“ den „Neuen Menschen“ nicht biologisch, sondern entsprechend der marxistischen Ideologie durch Lernvorgänge zu züchten.>

 

 

Der Text klingt so, als ob die antiautoritär gesinnten Eltern primär wegen ihrer marxistischen „Experimentierlust“ die Kinder „nicht mehr“ in öffentliche oder konfessionelle Kindergärten steckten.

 

Dazu ist erstens anzumerken: mit den Kindergartenplätzen sah es damals sowieso ziemlich mau aus. Denn es galt durchaus zu recht der bekannte Spruch aus der Studentenbewegung: „In der Rüstung sind sie fix, für die Bildung tun sie nix“. Die studentischen Eltern mußten also in eigener Initiative, ohne jede Bezuschussung,  mit viel Elan und Idealismus, gegen äußere bürokratische Widerstände und innere Reibereien, jene Kinderläden aufziehen. (Vgl. dazu das instruktive Buch von Horst-Eberhard Richter “Die Gruppe”, Rowohlt 1972, wo ein Teil davon über Gießener Kinderladen-Gruppen geht).

 

Sodann hatte man zweitens ja genügend eigene Erfahrungen mit den damaligen (sodann ‚autoritär’ benannten) Erziehungsinstitutionen, zu denen neben den üblichen Schulen selbstredend  Erziehungs-Heime, Erholungsheime, militaristische Jugendherbergen, Meßdiener,  christliche Pfadfindergruppen,  auch Kindergärten, u.dergl. gehörten – und die sahen durchgängig ziemlich übel, weil inhuman, aus. Bis auf wenige institutionelle Ausnahmen (etwa die reformpädagogische Odenwaldschule, bei der übrigens Cohn-Bendit Schüler war), war da durchgängig nur Ablehnung gegen jene altertümlichen inhumanen Dressuranstalten unter den kritischen Studenten erkennbar. Was lag also näher, nun zu neuen, humanen, Ufern aufzubrechen? Das kann man bösartigerweise (projektiv) als züchtende Experimentierlust am Meerschweinchen-Menschenmaterial diskriminieren  oder auch gutartigerweise als Experimentierlust, um freie, humane (statt autoritäre, inhumane) Erziehung zu bewerkstelligen, charakterisieren.

 

Was ist hierbei der Argumentationstrick? Die erstere Variante ist wieder einmal die Methode der von vornherein abwertenden Bezeichnung -  als ein wirkungsvoller Argumentationstrick, um ungerechtfertigte Vorurteile zu schüren.

 

 

5. Ein ZDF-Reporter deckt 2007, in einem Fernseh-Interview, bei Cohn-Bendit eine ‚Dunkle Stelle’ von 1970/71 auf,  als Cohn-Bendit Betreuer im Frankfurter Kinderladen war, die mit ‚Sexualität’ im Zusammenhang mit Kindererziehung zu tun hat. Darüber hat Cohn-Bendit damals einiges geschrieben, was ihm nun zum Verhängnis gemacht werden soll.

 

Der Autor hat dieses Interview meiner Ansicht nach vermutlich nicht erschöpfend und getreu aufgezeichnet. Er will Cohn-Bendit damit - meiner Ansicht nach - als einen Wirrkopf darstellen. Gerade in dieser Situation wäre es aber m.E. wichtig gewesen eine wirklich detailgetreue Wiedergabe des Interviews (lt. Autor “das folgende Cohn-Bendit-Gestammel”) herzustellen

Der Interviewer holt - plötzlich aus dem Off – strickdreherisch diese, in seinen Augen offenkundige, Kinderschänderei des Cohn-Bendit hervor.

 

<Dann kam der Hammer.

ZDF: Ob Daniel auch erzieherisch in einem roten „Kinderladen“ tätig gewesen sei.

Daniel: Ja freilich, freilich.

ZDF: Ob er über seine Erfahrungen im „Kinderladen“ in einer linken Szeneveröffentlichung folgenden Text geschrieben habe: „Es ist mir mehrmals passiert, daß einige Kinder meinen Hosenlatz geöffnet und angefangen haben, mich zu streicheln.“

Da entgleisten dem eloquenten Europa-Parlamentarier die Gesichtszüge. Daniel sah sich plötzlich in einer Löwengrube, beobachtet von einem Millionenpublikum. Das folgende Cohn-Bendit-Gestammel verdient wörtlich wiedergegeben zu werden:

Daniel: „Es ist ja nichts Reales passiert, aber es klingt so real.“

ZDF: „Sie sind ja ein Kinderladen-Bukowski mit diesem Text!“ (Anm.: Charles Bukowski ist ein amerikanischer Autor mit sehr freimütigen Schilderungen seines vielseitigen Sexuallebens)>

 

Es fragt sich natürlich wie unter solchen Verhörbedingungen „beobachtet von einem Millionenpublikum“ ein sinnvolles Interview zustande kommen soll  - und nicht ein quietschnormaler Hexenprozeß:

 

Daniel: „Ja, aber das ist das Problem, daß ich geglaubt habe, wenn ich nur einfach abstrakt - dann diskutiert man darüber und nicht darüber. Und ich habe versucht, in dieser Situation verschiedene Ereignisse, die in der Kinderladen-Diskussion waren, die ich beobachtet habe zum Teil, zu einer Geschichte zusammen zu fassen, indem ich in der Ich-Form sage und was ich äh - ich bin gerne bereit, darüber zu diskutieren, also ja.“

ZDF: „Wie erklären Sie Ihrem 10jährigen Sohn heute, daß sie so einen Text geschrieben haben?“

Daniel: „Ja, ich hab andere Probleme, ja genau, wie diskutiere ich mit meinem 10jährigen Sohn über Abtreibung. Ich will zum Beispiel - also ich bin dafür, daß die Frauen das Recht haben -“

ZDF: „Ja aber letztlich bleiben wir bei der Frage, wie erklären sie ihm das?“

Daniel: „Ja, wenn mein 10jähriger Sohn diesen Text lesen würde, dann würde ich ihm genau diese Situation erklären, die Situation erklären, daß damals diese Sachen diskutiert wurden. Und wissen Sie, es ist auch jetzt als Erzieher, wie erklären Sie Ihrem 10jährigen Sohn, der zu Ihnen in die Badewanne will, ja oder dies, ja da müssen Sie sagen, ja oder nein oder in welcher Form, das sind reale Probleme. Ich geb´ Ihnen ein Beispiel. Es gab damals ein Aufklärungsbuch ,Zeig´ mal!´. Dieses Buch zeigte Kinder, die sich Sexualität gegenseitig zeigten. Es ist von Lehrern benutzt worden, das Buch ist empfohlen worden.“

ZDF: „Und später?“

Daniel: „Ist es auf den Index gekommen, 15 Jahre später. Und ich finde, man kann die Art der Diskussion, die Provokation, die heute zu kritisieren sind.“

ZDF: „Warum würden Sie es heute nicht mehr schreiben?“

Daniel: „Weil ich glaube, daß damit nix verständlich wird. Weil der aufklärerische Gestus, den es haben soll, überhaupt nix aufklärerisch is´ und die richtige, wichtige Debatte über Kinder, Erzieher und weil wir vieles wissen über Kindesmißhandlung. Ich habe nix mit den Kindern.“

ZDF: „Es klingt so autobiographisch, so persönlich geschildert, so als wenn Sie Sex mit Kindern hätten.“

Daniel: „Ja und das is´ nich´ wahr, das is´ nich´ wahr, das is´ auch von den Eltern is´ auch niemand da gewesen. Das is´ der Punkt, es hat jemand neulich geschrieben, hier sollte ein Tabu mal überschreiten und zwar in in in gedanklich und deswegen hab ich auch, bin ich nicht sauer, wenn mir das vorgehalten wird, weil es war kein Geheimfeld. Ich finde nur, man muß es in dieser Zeit und in diesem - das sind so - wir haben vorhin über 68 - es war damals, fälschlicherweise kann man sagen, eine Ebene der Diskussion erreicht ja, die wir heute wieder einholen müssen.“

 

Eine Frage an Dani und Genossen

Nach diesen erschöpfenden Auskünften des grünen Europaabgeordneten war der Sendeschluß erreicht und der Interviewer dankte dem roten Dani herzlich für sein Erscheinen und hatte keine weiteren Fragen mehr. Dem geneigten Leser dieser Zeilen wird wahrscheinlich auch manches klar sein. Es gibt aber vielleicht doch eine nicht unwichtige Frage an den roten Dani. Nämlich die Frage, ob Dani und seine Kumpane sich schon einmal bei den von ihnen „erzogenen“ Menschen entschuldigt und Wege der Wiedergutmachung gesucht haben. Bei den damaligen Kindern, welche die Genossen, den abstrusen marxistischen Thesen des verrückten Wilhelm Reich folgend, wie Meerschweinchen ihren unverantwortlichen Experimenten ausgesetzt hatten.

Klaus Rainer Röhl dazu im Rückblick: „Auf diesem Sektor (der Experimente an Kindern) gibt es wohl die gewaltigste Dunkelziffer der begangenen Untaten oder meinetwegen auch nur Dummheiten, hier haben wir auch nachweislich die breiteste Nachwirkung der Bewegung, hier auch die meisten Defizite und Beschädigungen.“

(Röhl: a.a.O., S. 34)

Dem ist nichts hinzuzufügen.

(Quelle: dieaula.at)

nihilator

 

Also, wie schon oben bemerkt, bin ich der Meinung, daß es der Autor darauf anlegt, Cohn-Bendit als Wirrkopf darzustellen, indem er das ZDF-Interview meiner Ansicht nach unnötig unverständlich darstellt. Ich weiß von was ich rede, da ich selber ein Podiumsgespräch mit Daniel Cohn-Bendit und Horst-Eberhard Richter möglichst wortgetreu aufgezeichnet habe und die nicht-verständlichen Worte oder Sätze ausdrücklich als solche gekennzeichnet habe. Diese Methode wissenschaftlicher Genauigkeit (man kann auch sagen: geistiger Ehrlichkeit) findet sich bei dem Autor des Hetzartikels gegen Cohn-Bendit (ich würde sagen: selbstverständlich) nicht. Dennoch kommt von dem Interview vermutlich der Kern der Sache immerhin noch rüber.

In jenem Interview soll offenbar dem Cohn-Bendit heutzutage, wo das Thema ‚Kindesmißbrauch’ die Medien erfüllt, als Kinderschänder – auch noch vor einem Millionenpublikum –, neuerdings ein Strick gedreht werden. Wer kann da schon gelassen auf Fragen eines ZDF-Inquisitors  antworten, die außerdem nicht angemessen, d.h. auf die damalige historische Situation adäquat bezugnehmend, gestellt werden?

 

Was ist hierbei der Argumentationstrick? Herstellen einer inquisitorischen Situation, bei der einem ein Strick gedreht werden soll. Alle Antworten, vor allem auch die durch jene Situation hervorgerufenen angeblichen Schwächen der eigenen Darstellung, werden notwendigerweise gegen einem verwandt.

 

 

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Hier geht’s zu: ideologische Argumentation - empirische Übung-3 . Beispiel für Medien-Propaganda (Anja Reschke)

 

 

 

 

 

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